Als das Jahr 1997 sich dem Ende zu
bewegte, hatte sich der damals 67-jährige Johnny Parth einen Traum erfüllt. Er hatte
sich 1990 in den Kopf gesetzt das Gesamtwerk der Blues- und Gospelmusik, die vor dem II.
Weltkrieg aufgenommen wurde in chronologischer Reihenfolge auf CD
wiederzuveröffentlichen, damit für Fans und Wissenschafter gleichermaßen zugänglich zu
machen und der Nachwelt zu erhalten.
Es war allerdings nicht so, daß Johnny
Parth eines Morgens aufgewacht war und in der Nacht die Eingebung für dieses Mega-Projekt
erhielt, sondern alles hatte sich langsam entwickelt.
Er wurde im Jänner 1930 geboren, nicht in
Wien, wie er betont, sondern in Ottakring, was mehr Wert sei, denn hier wäre die
Brutstätte der Original Wiener Volksmusik. Zum Blues kam der heute 68-jährige, der mehr
Energie ausstrahlt als so mancher mit 25, über den Jazz.
"Während meiner Pubertät, also noch
in der Nazi-Zeit, hörte man nur 'Heideröschen-Gesänge' und zackige Märsche, beides
Musikformen, die mir damals nicht im Geringsten gefielen. Durch Schulfreunde, deren Väter
im Untergrund waren, hörte ich die ersten amerikanischen Platten, den 'St. Louis Blues'
und den 'Tiger Rag' von Louis Armstrong, aufgenommen in Paris. Die Musik hat mich so
begeistert, daß ich mich fortan nur mehr in diesen Kreisen bewegte. Ich hab damals auch
mit großer Begeisterung drei Mal die Ausstellung 'Entartete Kunst' besucht. Dort konnte
man, als abschreckendes Beispiel gedacht, Aufnahmen von Leuten wie Jimmy Lunceford oder
Count Basie hören. Das war für uns damals natürlich sehr einladend. Meine Eltern
dachten damals ich hätte einen Dachschaden, als ich einen ganzen Nachmittag mit
wackelnden Kopf um den Tisch mit unserem Grammophon ging, auf dem ich immer wieder eine
Lionel Hampton Platte spielte und dazu immer 'eh-eh' machte. Mit 14 war es damals wichtig
für uns, daß die Musik die wir hörten anders, laut und wild war. Je höher der
Trompetenton um so besser.
Ich wohnte damals im dritten Bezirk traf
mich mit meinen Freunden immer im Schweizer Park. Dort hörten wir uns heimlich die
amerikanischen Platten an, während einer, der jede Viertelstunde abgelöst wurde,
aufpaßte ob die Polizei kam. Als dann der Krieg zu Ende war, hatten wir es leichter. Ich
nahm sogar, zusammen mit einem Freund, das Grammophon auf Wanderungen mit meinen Eltern
mit und dann tönte Louis Armstrongs Trompete durch den Wald.
Am Anfang war es sehr schwer Platten
überhaupt zu bekommen. Um eine der begehrten 4 oder 5 amerikanischen Aufnahmen in
schlechtester Pressung zu ergattern mußte man 5 Platten zum Einschmelzen mitbringen. Eine
weitere Möglichkeit die Objekte der Begierde in die Finger zu kriegen, war amerikanische
Soldaten, neben Zigaretten, Schokolade und Kaugummi auch um Armeeplatten sogenannte
V-Discs anzuschnorren.
Da wir nur so wenige Platten hatten, diese
aber spielten bis sie fast durchsichtig waren, kannten wir jeden einzelnen Ton auswendig.
Diese Hingabe ist leider bei der heutigen Flut an Neuerscheinungen unmöglich."
Während der Sommerferien arbeitete Parth
als Dolmetsch für die Alliierten und erhielt hier den Namen 'Johnny'. Nach einer
Ausbildung auf der 'Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt' zum Portraitmaler lebte er eher
das Leben eines Bohemien.
"Zum Blues gekommen bin ich so um
1950. Ich bewegte mich damals in Künstlerkreisen und saß im 'Art Club' mit wiener
Literaten, wie Ossi Wiener zusammen. Alle schwärmten damals von Bluesaufnahmen die auf
englischen Schwarzpressungen erschienen waren, wie Ma Rainey, Blind Lemmon Jefferson und
Leroy Carr. Ich war damals davon nicht besonders begeistert, aber da ich mir keine Blöße
geben wollte, tat ich als ob mir die Musik gefiele. Da ich aber vom guten Geschmack der
Anderen überzeugt war, begann ich an mir zu arbeiten. Heute gehört Blind Lemon Jefferson
zu meinen absoluten Lieblingen. Für mich war es damals auch schwer die schlechte
Tonqualität, die viele Bluesaufnahmen gegenüber Jazzaufnahmen aus der gleichen Zeit
hatten zu akzeptieren. Jazz wurde schon für ein wohlhabendes Stadtpublikum produziert.
Blues wurde hauptsächlich von der armen Landbevölkerung im Süden gekauft.
Ich lebte damals von der Hand in den Mund,
machte Restaurationen und malte Ikonen. Ich war zwar talentiert aber ich habe nie gern
gemalt. Daher hab mich auch nie um einen Auftrag oder eine Ausstellung bemüht, sondern
arbeitete nur, wenn die Leute zu mir kamen. Ich war mein ganzes Leben lang sehr faul und
habe erst, als ich mit Document Records mein Hobby zum Beruf machte, eine wahre Arbeitswut
mit 16 Stunden am Tag entwickelt."
Platten zu veröffentlichen ist für
Johnny Parth aber kein neues Terrain. Als Präsident des 'Hot Club de Vienne' (das heutige
Jazzland) in den 50er und 60er Jahren gab er schon Miniauflagen von 30 Stück für
Vereinsmitglieder heraus, mit Aufnahmen etwa von King Oliver, die damals die einzige
Möglichkeit waren an Musik aus dieser Anfangszeit des Jazz zu gelangen. Ende der 60er
Jahre versuchte er mit 'Roots Records' zum ersten Mal einen Markt für den ursprünglichen
Blues zu erschließen. 60 LPs wurden veröffentlicht, ehe das Label Mangels Nachfrage in
Konkurs ging. Etwas verunsichert machte Johnny Parth erst weitere Anläufe mit
Zusammenstellungen für andere Plattenfirmen im In- und Ausland, wie RST, Wolf, Matchbox,
usw. bevor er sich entschloß wieder alles in die eigene Hand zu nehmen. Das war der
Beginn von Document Records.
"Als ich mit 'Roots Records' begonnen
hatte den traditionellen Blues zu veröffentlichen, war das Projekt zwar nach einigen
Jahren gescheitert, aber damals hatte ich schon alle Kontakte zu Sammlern und Fachleuten
geknüpft, die mir dann bei Document Records sehr hilfreich waren. Als Orientierung für
die Veröffentlichung diente mir hauptsächlich das Buch 'Blues and Gospel Records
1890-1943'. Alle Titel die darin verzeichnet sind habe ich gefunden und herausgebracht und
sogar einiges mehr entdeckt. Ich erhielt z.B. von einem Mann, der bei einer großen
Plattenfirma als Produktionsleiter arbeitet und von meinem Projekt sehr begeistert war,
Tonbandüberspielungen, die heimlich von alten Matrizen, die dort im Keller lagerten und
nie auf Schellack erschienen war, überspielt wurden. Diese Begeisterung war aber nicht
von Anfang an da. Zuerst war da nur Kopfschütteln und die meisten Leute waren überzeugt,
daß das ein Verrückter sein muß, der ein derartig überdimensioniertes Projekt als
60-jähriger in Angriff nimmt wofür man eigentlich ein halbes Leben braucht. Als sie dann
aber meine Arbeitswut und die gute Klangqualität meiner Produktionen bemerkten, schlug
die Ablehnung in Begeisterung um und jeder wollte etwas beisteuern und so ein Teil dieser
Arbeit werden. Ich möchte noch besonders betonen, daß die wichtigste Unterstützung für
mich meine Frau war, ohne die ich die ganze Arbeit sicher nicht geschafft hätte."
Nachdem Johnny Parth diesen großen
Brocken geschafft hatte, ruhte er sich aber nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern begann
sofort ein neues Projekt. Die gesamte weiße Country Musik aus den 20er und 30er Jahren
wird nun auf Document veröffentlicht. Nebenbei kümmert er sich auch um traditionelle
Musik im eigenen Land. Seit seiner frühesten Kindheit hat die Wiener Volksmusik einen
großen Reiz auf Johnny Parth ausgeübt. So war es nur naheliegend eine eigen Serie mit
Originalaufnahmen von Wiener Musik um die Jahrhundertwende zu veröffentlichen und so auch
diese Kunstform zu archivieren.